1934 führte der amerikanische Soziologe Theodore Fred Abel …
… mit dem Einverständnis von Reichspropagandaminister Göbbels ein Preisausschreiben unter Mitgliedern der NSDAP durch.
Er hatte zuvor vergeblich versucht, mit den Parteianhängern in Kontakt zu kommen und versprach sich von der Prämierung „der besten persönlichen Lebensgeschichte“ gehaltvolle Einblicke in die Gründe für den Aufstieg der Faschisten.
Das Preisgeld von insgesamt 400 Reichsmark zahlte er aus eigener Tasche und die Parteimitglieder sahen darin eine willkommene Gelegenheit, Vorurteile gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung im Ausland abzubauen.
Die so entstandenen 3.700 Seiten Text – von 600 Anhängern handschriftlich oder mit der Schreibmaschine geschrieben – kann man im Hoover-Archiv der Stanford University im Original abrufen.
Das besondere an diesen Texten ist, dass sie weit vor dem Krieg geschrieben wurden, also unbeeinflusst vom Wissen über Krieg, Kriegsfolgen und Massenvernichtung.
Das sind die sich wiederholende Motive in den Aussagen der frühen Parteimitglieder:
● Wunsch, dass „im Vaterland wieder Ruhe und Ordnung einkehren“ soll
● Misstrauen gegenüber den bestehenden Parteien und der Presse
● Wunsch nach enger Gemeinschaft/Kameradschaft
● Gefühl als „Stimmvieh“ missbraucht zu werden
● Eindruck, dass die Bewegung und ihr Anführer von der Presse kleingeredet würden
● Spott und Gefühl der Ausgegrenztheit (u.a. wegen NSDAP-Verbot von 1923-25)
● Angeschlagener Nationalstolz (u.a. durch WW1, „Dolchstoß“)
● Angst vor sozialem Abstieg
● Angst vor den Fremden im Land
Abel schrieb basierend auf den Dokumenten später das Buch „Why Hitler came into Power“.
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Und heute?
Für die Entstehung und das Erstarken faschistischer Bewegungen gibt es viele Gründe. In den Medien finden sich zahlreiche Studien, Hypothesen und Spekulationen. Gerade weil es sich um ein global auftretendes Phänomen handelt.
Die Frage beschäftigt mich seit langem. Und wenn mich etwas nicht loslässt, werde ich zum News-Hamster und fange an zu sammeln. Und manchmal mache ich mir dann eine Mindmap zur besseren Übersicht (siehe Grafik).
Ich bitte um Nachsicht, denn
● das ist lediglich eine Sammlung
● sie hat null Anspruch auf Vollständigkeit oder Wahrheit
● sie ist sicher durch meine Bubble geprägt
● vieles entspricht dennoch nicht meiner Wahrnehmung
● die Beispiele (hellblau) sind mehrheitlich deutsche Beispiele
● es gibt ganz bestimmt viele andere Möglichkeiten, das zu clustern
● schöner und lesbarer könnte es auch sein
Aber vielleicht kann die Eine oder der Andere dennoch etwas damit anfangen.
Was habe ich vergessen? Was fällt Euch noch ein?
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Eine Woche später:
Ko-Kreation rulez
Mir ist immer noch ganz warm, wenn ich an letzte Woche denke. Vor allem wegen der vielen Menschen die in ganz Deutschland für Hashtag#Demokratie auf die Straße gehen. Aber auch, wegen der großartigen, sehr differenzierten, schlauen Beiträge unter meinem Post zur Forschung Theodore Abels von 1933 und die möglichen Gründe für den erneuten Rechtsruck, die ich in einer Mindmap gesammelt hatte.
Ehrlich gesagt, wollte ich die Map erst gar nicht teilen. Weil ich dachte: Zu viele Angriffspunkte, eine Sammlung von Aussagen diverser Herkunft und Couleur, aber dennoch bestimmt nicht neutral und ungefärbt. Ich hatte durchaus Sorge, dass sie in der Luft zerfetzt wird.
Dann hab ich’s einfach gemacht. Es war Sonntag, ich war noch müde und ich hatte einige Zeit in die Map gesteckt. Sunk Cost Fallacy, glaube ich. Raus damit.
Und dann kamt ihr.
Der Lage angemessen, beschäftigen sich extrem viele Menschen damit, woher der Rechtsruck kommen könnte und es gibt es viele mögliche Gründe aber scheinbar nur wenig Übersicht.
● Zwei Lehrer haben mir geschrieben, sie wollen die Mindmap im Unterricht verwenden.
● Ein Professor möchte mit seinen Studierenden ein Systemdiagramm zusammenstellen, um herauszufinden, was die zentralen Faktoren sind, die das Phänomen wachsen lassen und mit welchen Mitteln man eingreifen kann, damit es wieder kleiner wird.
Und das Tollste: Viele haben die Mindmap durch weitere wichtige Faktoren ergänzt.
Und weil ich das richtig gut finde, dass man etwas Unfertiges posten kann und Linkedin nicht nur zum Content-Konsum, sondern auch für asynchrone Ko-Kreation taugt, wollte ich das nicht einfach so stehen lassen und habe die Beiträge in die Mindmap aufgenommen (siehe Bild – neue Faktoren in Lila).
Zur Map (wie schon letzte Woche)
● das ist lediglich eine Sammlung
● sie hat null Anspruch auf Vollständigkeit oder Wahrheit
● sie ist sicher durch meine Bubble geprägt
● vieles entspricht dennoch nicht meiner Wahrnehmung
● die Beispiele (hellblau) sind mehrheitlich deutsche Beispiele
● es gibt ganz bestimmt viele andere Möglichkeiten, das zu clustern
● schöner und lesbarer könnte es auch sein
Neu:
● Es gibt (entsprechend Eurer Anmerkungen) besonders häufig genannte Gründe, die habe ich hervorgehoben (fett + hellgelb)
● Es ist kein globaler Rechtsruck sondern vor allem ein Rechtsruck westlicher Nationen (dunkelblau)
● Die von Euch genannten Gründe habe ich (vor allem aus technischen Gründen) außen platziert. Andere Plätze wären sicher angemessener gewesen.
Das mag jetzt durchaus eine Berufskrankheit sein, aber ich bin fest davon überzeugt (und meine Erfahrung aus vielen Workshops und Kollaborationssituationen sagt mir), dass mehr echte Ko-Kreation – sachbezogen und auf Augenhöhe, dialogisch und ambiguitätstolerant –immer auch ein bisschen die Welt retten kann.
Vielen Dank, dass das hier klappt! Ihr seid großartig.
Diese Artikel erschienen zuerst auf Linkedin Im Bild: Die aktuelle Map
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